Im Rahmen des Deutschen Ausbildungsleitungskongresses freuen wir uns, Ihnen ein exklusives Interview mit Dr. Nico Rose, Spiegel-Bestseller–Autor und führender Experte für Positive Psychologie lt. Harvard Business, präsentieren zu können. Herr Dr. Rose ist der Sinnput-Geber, er arbeitet als freischaffender Autor sowie Sparringspartner für Menschen und Organisationen. In seinem Vortrag beim DALK 2024 thematisiert er, wie Sinnerleben als psychologisches Einkommen Engagement und Leistungsfreude steigert und welche Rolle Führung und Unternehmenskultur dabei spielen. Vorab haben wir die Gelegenheit genutzt, mit ihm über seine Erfahrungen und Erkenntnisse zu sprechen. Lesen Sie weiter, um spannende Einblicke in dieses wichtige und interessante Thema zu erhalten.
Herr Dr. Rose, welche persönlichen Erfahrungen oder Beobachtungen haben Sie dazu inspiriert, sich intensiv mit dem Thema Sinnerleben und dessen Bedeutung für Mitarbeitende zu beschäftigen?
Als Organisationspsychologe habe ich natürlich ein gewisses Grundinteresse an solchen Themen. So richtig gepackt hat es mich dann allerdings während meiner Doktorarbeit. Ich hatte mich damals entschieden, fachfremd in BWL zu promovieren. Leider habe ich nach etwa einem Jahr die Lust an meinem Thema verloren. Gleichzeitig bin ich so erzogen worden, dass man Sachen, die man begonnen hat, auch durchzieht. Von daher befand ich mich in einer Situation, von der klar war: Das dauert jetzt noch ein paar Jahre, aber der gesamte Sinnhorizont, auch das „Ziel hinter dem Ziel“ – das war alles in sich zusammengebrochen. Die Beschäftigung mit dem Thema war also anfangs vor allem eine Form der Selbsthilfe.
Wie können Führungskräfte konkret erkennen, dass in ihrem Team oder Unternehmen ein Mangel an Sinnerleben besteht, bevor sich dieser negativ auf die Leistung auswirkt?
Das ist nicht ganz trivial, weil das Sinnerleben in der Arbeit sich aus unterschiedlichen Quellen speist. Es hat etwas mit verschiedenen Formen von Resonanz zu tun, in den Worten des Soziologen Hartmut Rosa.
Da wäre so etwas wie die Resonanz mit dem Zweck des eigenen Tuns bzw. der Organisation. Das, was man Neudeutsch Purpose nennt. Dann ist da die Resonanz mit den Menschen um mich herum. Wir ziehen Sinnerfahrungen aus gelingenden Beziehungsmustern. Weiterhin gibt es eine Form der Resonanz mit dem eigenen Selbst. Habe ich das Gefühl, dass ich mir durch mein Tun in meinem Wesen näherkomme? Das Gefühl haben Menschen zum Beispiel, wenn sie viele Aufgaben erhalten, in denen sie ihre natürlichen Stärken einsetzen können. Schließlich gibt es noch so etwas wie Resonanz mit der eigenen Zukunft. Habe ich das Gefühl, dass ich mich im Rahmen meiner Arbeit weiterentwickeln kann? Wartet dort eine attraktive Zukunft auf mich?
Auf solche Dinge wäre zu achten als Führungskraft oder Ausbildungsleiter. Es gibt aber tatsächlich auch validierte Fragebögen zu diesem Themenkomplex. Wer es ganz genau wissen möchte, könnte also mit solchen Werkzeugen arbeiten.
Können Sie kurz erklären, was Sie unter „psychologischem Einkommen“ verstehen und warum es für das Engagement und die Leistungsfreude der Mitarbeitenden so wichtig ist?
Verschiedene Forschungsarbeiten legen nah, dass Sinnerleben im Rahmen der Arbeit und monetäres Einkommen ein Stück weit substituierbar sind. Ergo: Menschen sind (zumindest theoretisch) bereit, einen Teil ihres monetären Einkommens zu opfern, um mehr psychologisches Einkommen zu beziehen. Das erkennt man zum Beispiel gut bei Personen, die für NGOs, Stiftungen usw. arbeiten: Dort wird man in vergleichbaren Positionen deutlich schlechter bezahlt als in der freien Wirtschaft – aber das erhebende Gefühl, eine ethisch wertvolle Arbeit zu verrichten, einem höheren Gut zu dienen, kann das monetäre Defizit offensichtlich wieder ausgleichen.
Sie sprechen von Sinnerleben als „ultimativem Motivator“. Was macht Sinnerleben so besonders im Vergleich zu anderen Motivationsfaktoren wie z.B. Gehalt, Arbeitsumfeld oder Karrierechancen?
Mit dem Wort ultimativ meine ich, dass ein langfristiger Mangel an Sinnerleben in der Arbeit wie ein Hauptschalter bei einem Stromkreislauf fungiert. Sprich: Wenn man den ausschaltet, kommt auch aus den anderen Facetten keine Energie und Motivation mehr. Ich kann das am besten an meiner persönlichen Situation beschreiben. Ich habe von 2010 bis 2018 bei Bertelsmann gearbeitet. Ich hatte dort über acht Jahr einen erstklassigen Vorgesetzten, tolle Kolleginnen und Kollegen, spannende Aufgaben – und es wurde auch noch richtig gut bezahlt. Und trotzdem war da in den letzten zwei Jahren, so mit Blick auf den 40. Geburtstag, ein zunehmendes Gefühl der Stagnation.
Das, was man vom Leben oder von guter Arbeit erwartet: Das entwickelt sich naturgemäß weiter in acht Jahren. Zum Ende hin habe ich zumindest einige der oben beschriebenen Resonanzerfahrungen immer weniger gehabt. An diesem Punkt sagen Menschen dann – nicht sofort, aber irgendwann doch sehr klar und deutlich: „Das macht hier keinen Sinn mehr.“ Das ist dann tatsächlich so, als ob jemanden den Stecker zieht.
Herr Dr. Rose, welche Frage sollten Ihnen die Teilnehmenden nach Ihrem Vortrag unbedingt stellen?
„Kann ich Ihnen einen Cappuccino mitbringen?“ Das fände ich auf jeden Fall sehr zuvorkommend. Aber Spaß beiseite. Als wissenschaftlich arbeitende Psychologen legen wir großes Augenmerk auf validierte Instrumente und Interventionen. Ich würde mich freuen, wenn ich bei den Menschen in der Praxis hier ein gewisses Interesse auslösen könnte.
Vielen Dank, Herr Dr. Rose.