Im Interview mit Julia Pollnow, Speakerin beim Deutschen Ausbildungsleitungskongress 2024 in Düsseldorf.
Wie definieren Sie “Personalisierte Ausbildung” und welche Hauptmerkmale zeichnen diesen Ansatz aus?
Personalisierte Ausbildung bedeutet, dass wir den individuellen Interessen und Bedürfnissen der Auszubildenden in der Ausbildung Raum geben. Hier sind zwei Beispiele zur Verdeutlichung: Ein dual Studierender erlebt das internationale Umfeld in einem Praxiseinsatz und nimmt sich vor: Da will ich kompetenter werden! Deshalb wählt er das Wahlmodul „Intercultural Management“. Eine Auszubildende bemerkt im Austausch mit den Kolleg*innen, dass sie selbstsicherer werden möchte. Sie wählt das Wahlmodul „Körper – Stimme – Sprache“. Natürlich werden die fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten laut Berufsbild weiterhin vermittelt. Ergänzend dazu gibt es bei der Personalisierten Ausbildung ein Angebot an Wahlmodulen, das selbstbestimmtes Lernen ermöglicht. Dadurch entwickeln die Azubis zusätzliche Fähigkeiten und vor allem ihre Selbstlernkompetenz. Portfoliogespräche spielen hierbei eine zentrale Rolle: Anhand eines Portfoliobogens reflektieren die Auszubildenden ihre Ziele, Erfolge, Herausforderungen und Lernstrategien zunächst eigenständig. Im darauf aufbauenden, etwa halbjährlichen Gespräch mit der/dem Ausbilder*in wird dann gemeinsam besprochen, wo Unterstützung nötig ist, welche Wünsche und Ziele der Azubi hat, was die nächsten Schritte der Ausbildung sind und welche Wahlmodule belegt werden.
Wie hat sich der Ansatz der Personalisierten Ausbildung in den letzten 10 Jahren entwickelt?
Bereits vor etwa zehn Jahren fiel uns auf, dass der traditionelle innerbetriebliche Unterricht nicht mehr ideal passte – zuerst in Fächern, wie Englisch und IT, wo die Voraussetzungen der Auszubildenden stark variieren. Doch auch darüber hinaus wurde uns schnell klar: Jede*r ist anders! Die Heterogenität, bedingt durch unterschiedliche Herkünfte, berufliche Vorerfahrungen oder individuelle Ziele, veranlasste uns dazu, die Ausbildung im Betrieb neu zu denken und stärker an den Auszubildenden auszurichten. Dabei war es uns von vornherein wichtig, nicht nur auf die Defizite einzelner Auszubildender einzugehen. Vielmehr geht es uns darum, Jeder und Jedem die Chance zu geben, ihr/sein volles Potenzial zu entfalten. Wir haben dann schrittweise und mit einzelnen Berufen begonnen, neue Tools (z.B. unsere Wahlmodule, Portfoliogespräche) erprobt, basierend auf den Erfahrungen das Konzept angepasst und schrittweise über alle Berufsgruppen ausgerollt.
Wie bereitet die Personalisierte Ausbildung die Auszubildenden auf die zukünftige Arbeitswelt vor?
Eine zentrale Kompetenz, die gefördert wird, ist die Selbstlernkompetenz. In einer Arbeitswelt, die sich stetig wandelt, in der Hierarchien abnehmen und die Bedeutung eigenverantwortlichen Arbeitens zunimmt, ist es essentiell, dass junge Menschen lernen, ihre Interessen, Neigungen, Stärken und Entwicklungsfelder zu erkennen sowie entsprechend zu handeln. Sie üben im Rahmen der Personalisierten Ausbildung ihre Selbstreflexion. Außerdem entwickeln die Auszubildenden durch die Personalisierte Ausbildung die Kompetenz, sich schnell und selbstständig an neue Anforderungen anzupassen und eigenverantwortlich zu arbeiten. Wenngleich die Arbeitswelt, z.B. hinsichtlich künftig benötigter Skills, unvorhersehbar bleibt, geben wir ihnen Rüstzeug an die Hand, um ihr Arbeitsumfeld bzw. ihre Entwicklung heute und in der Zukunft aktiv mitzugestalten.